Komm zurück


12 Uhr. "Komm zurück." Wandtattoo. Gesehen in Traunstein (29.08.2017).

Beim Vorbeigehen lese ich heute in der Traunsteiner Innenstadt, Nebenstraße, die rote Schrift an der Wand: "Komm zurück." Kein Ausrufezeichen. Kein Punkt. Kein Sinn?

Sinnlosigkeit – glaube nicht. Ein Mensch schreibt hier, teilt (sich mit), hat was zu sagen (Startpunkt aller Schriftstellerei).

Oder schreit irgendwas in die Welt hinaus. Aber was? Einen schmerzlichen Verlust. Bitte, bitte komm zurück! Ja, wer oder was denn?

Sag doch, was du willst! Hat der Mensch doch: Komm zurück. Und wer damit gemeint ist, muss in der Nähe sein, diese Schrift an der Wand lesen können. Oder nicht, weil er oder sie vermisst ist? Gar tot ist. Traurig, traurig.

Verlustschmerz. Katze? Hund? Weggelaufen, überfahren ... mhm, glaube ich nicht. Da schreit ein Mensch nach einem (geliebten) Menschen. Ganz bestimmt. Aber ob es nützt?

Moment. Die Schrift an der Wand liegt direkt gegenüber dem Eingang eines mehrstöckigen Wohngebäudes, mehrere Wohnparteien, alte Bausubstanz, einst herrschaftlich, eine Art Villa.

Wer immer aus dem Haus kommt liest: "Komm zurück". Aber ohne Ausrufezeichen – was soll das?

Oder ist der Wandschriftsteller gestört worden, hat sein Appell nicht zu Ende führen können? Meine Güte, ein simples Ausrufezeichen fehlt. Mehr nicht – oder doch? Ja, soviel Zeit muss sein, oder nachträglich. Ohne Ausrufezeichen geht garnicht. Klingt unglaubwürdig. Kannst zurückkommen, eilt nicht, wenn's passt halt, oder so.

Verdammtes Ausrufezeichen. Warum fehlt es? Was hat den Schreiber daran gehindert, sich vollständig auszudrücken? Verhaftet? Ermordet? Blödsinn.

Der Mut hat ihn oder sie verlassen. Wurde gestört, und ist abgehauen. Wohnt halt weiter weg, kam nie wieder zurück. Hat die Emotion herausgelassen, und dann war gut. Sch.... auf das Ausrufezeichen! Wen es betrifft, der weiß Bescheid (hoffe ich mal, sonst hat sich der Aufwand nicht gelohnt; außer für den "Wortkünstler" selbst).

Ja, um was geht es überhaupt hier? Keine Ahnung. Irgendwas oder irgendwer ist weg. Und soll zurück kommen. Komm zurück. Partner, Freundin, Geliebte? Egal, ich muss weiter.

Überhaupt, loslassen was du liebst, so heißt es, wenn es freiwillig zu dir zurück kommt, dann gehört es dir. Ob das auch stimmt, weiß ich nicht. Also, ich übernehme keine Haftung für meine Kommentare. Jeder stürzt sich selbst ins Unglück so gut er kann.

Ich bin dann mal weg. Noch Fragen? Schreib einfach an irgend eine Wand, "Komm zurück". Natürlich ohne Ausrufezeichen. Eilt ja nicht.

PS: In nachhinein vermute ich, dass die Schrift an der Wand der Trauerschrei nach einem verstorbenen Menschen sein könnte. Daher ohne Ausrufezeichen. Das nützt hier nichts (mehr). "Viel mehr Blumen während des Lebens, denn auf den Gräbern sind sie vergebens" (Peter Rosegger).

Vielleicht fasse ich Mut, wenn ich wieder in Traunstein bin, und drücke alle Klingeln im gegenüber liegenden Haus oder frage vorüber gehende Anwohner nach der Schrift ... vielleicht lüftet sich dann das Geheimnis. Als junger Mensch faszinierten mich "Geheimnisse" (zum Beispiel Gott), und ich wollte sie unbedingt lüften – aber wenn das ginge, dann wären sie keine Geheimnisse. Heute weiß ich, dass manche Geheimnisse einfach unergründlich sind und bleiben. Das Leben besteht aus vielen Geheimnissen, und das ist gut so.

Vorgestern ganz spontan, intuitiv das obige geschrieben. Ohne Satzzeichen wirkten die Worte an der Wand auf mich halt unfertig. Konnte nicht glauben, nur eine Überschrift (wovon?) oder ein Slogan (wofür?) vor mir zu haben – sondern sah eine private Willensäusserung, leserlich mit der Farbe der Liebe auf Stein, unvergänglich quasi, eindrücklich.

Ohne Ausrufezeichen m.E. aber eher resigniert. Müde. Gehaucht. Verzweifelt. Zweifelnd. Natürlich kein Befehl. Eine natürliche Bitte. Ein Wunsch. Wunschdenken?

Oder religiös motiviert? Jesus, komm zurück und schau dir die Misere hier unten an. Macht nach der Himmelfahrt wenig Sinn – er sieht es eh von oben. Komm zurück und räum auf wie damals im Tempel? Schon eher. Nein, Jesus hat das Weltgericht zwar mit seinem Zweiten Kommen (Parusie) verknüpft. Kein Grund, Wände zu beschreiben.

Sprache und Worte können "frei" wie ein Vogel sein – bis ihn Falke oder Katze holt. Pass auf, was du öffentlich schreibst oder geh in dein Kämmerlein.
 

Die Schrift an der Wand sieht in meinen Augen (von Anfang an) NICHT kindlich aus! Zwei Buchstaben sind doppelt, das K und das m, jeweils fast gleich geschrieben – wie es geübte Schreiber tun. Erwachsene eben, keine Kinder, Teenager? OK, bin kein Graphologe.

Der erste Eindruck zählt, mein Bauchgefühl, das innere Auge. Das sagt: Hier hat kein Kind geschrieben, dafür bewusst, mit Absicht (logisch) – naja, ich meine bewusst (war nicht betrunken oder unter Drogen, allerdings nicht auszuschließen, z.B. Medikamente).

Diese klare Schrift eines offenkundig Erwachsenen in bewusst Rot (Symbolik: Liebe, Blut, Feuer, Warnung, um Aufmerksamkeit heischend) gibt mir Rätsel auf. Was will dieser schreibende Mensch wirklich? Von uns? Welchen Zweck verfolgt der ganze Aufwand? Selbsttherapeutische Zwecke? Umkehr (bei jemand)? Wohin soll der Aufgeforderte überhaupt zurück kommen? Nur er, sie, es weiß das. Und das genügt. Falls er, sie, es noch lebt, also zurück kommen kann. Falls er, sie, es diese Schrift jemals liest. Punkt.


* Zur Bildergalerie   Foto "Augen-Blicke" ... (Beispiel-Album "Salzburg").
  Was, wie, warum und überhaupt  (About – über meine "Knipserei").

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